Nacktkultur  auf  den  Bergen  →  1931


Mit einem begeisterten Berganhänger unternahm ich letzthin eine Bergwanderung. Wir durchwanderten erst einige Dörfer mit unserem leichten Bergkostüm, leichte kurze Hose und ein Leibchen. Wir verursachten damit allerdings einiges Aufsehen bei den Dorfbewohnern, aber nicht nur bei diesen, sondern auch bei den anderen Spörtlern, die in dicken Hemden und Hosen bekleidet waren und es vor Schwitzen fast nicht mehr aushalten konnten. Wir stiegen in unserem leichten Kostüm leicht und unbeschwert die Halden empor. Da meinte mein Begleiter: „Wenn doch die lieben Mitmenschen wüßten, wie wohl und leicht einem in dieser Bekleidung ist, sie würden doch bestimmt auch vernünftiger werden.”

Es ist doch sicher wahr, gerade im Sommer haben die Menschen noch viel zu viel Kleider an. Vor allem die Männer sind in dieser Beziehung noch sehr rückständig. In unserem Kurhaus Cademario haben wir allerdings einen Schritt vorwärts gemacht. Wir schwärmen für die kurze leichte Hose und das ärmellose Leibchen und damit können wir stundenlang in der Umgebung wandern. Auch die Frauen ziehen sich möglichst leicht und einfach an und genießen Luft und Sonne nach Herzenslust.

Wir pflegen bei uns auch die Nacktkultur, allerdings in seperaten Luftbädern. Es ist für uns selbstverständlich, daß man im Luftbad ohne Bekleidung sich aufhält. Aber gemeinsame Nacktluftbäder für Frauen und Männer können wir bei uns noch nicht einführen. Die heutige Welt ist leider in dieser Beziehung noch nicht einwandfrei. Wir würden unwiderruflich beim Publikum in Verruf kommen, weil es eine solche Neuerung noch nicht vertragen kann.

Wir pflegen die Nacktkultur aber schon bei Bergwanderungen im kleinen Kreise. Gerade im Tessin ist für solche Wanderungen sehr gute Gelegenheit, weil unsere Berge sehr wenig begangen werden. Es läßt sich hier oft stundenlang nackt wandern, ohne daß man dabei Menschen begegnen würde. Es ist dies natürlich eine höchst ideale Sache und die meisten machen mit Begeisterung mit. Allerdings hat es für den Anfänger auch seine Nachteile, denn die H6#246;hensonne sorgt öfters für richtigen Sonnenbrand. Aber nach und nach gewöhnt sich auch die Haut an diese starke Besonnung. Diese Touren im Schweiße des Angesichtes sind für die Gesundheit außerordentlich wichtig und meiner Ansicht nach ist gerade die Nacktkultur ein ausgezeichnetes Mittel zur Pflege und Erhaltung der Gesundheit. Wir hoffen, daß die Zeit nicht allzu ferne liegt, wo die Menschen für die Nacktkultur so weit sind.

Text: Dr. med. Keller-Hoerschelmann
Zusatz-Informationen

Cademario ist eine Gemeinde in der Region Malcantone im Kreis Agno (im Bezirk Lugano) des Kantons Tessin in der Schweiz.

Dr. med. Adolf Keller-Hoerschelmann (01.12.1879 - 17.08.1969) war Arzt und Naturheilkundler. 1914 gründete er das Kurhaus Keller in Cademario, welches im Mai 2014 sein hundertjähriges Bestehen feierte.
Monte Verità soll Dr. Keller zur Gründung inspiriert haben.

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Quellen:
• LL / Nr. 15 - August 1931
• Wikipedia